Gemälde Bäume


Die Geschichte vom laufenden Baum

Dritter Teil

„…Was war geschehen? Das Reh war aufgesprungen und davongelaufen. Der Knall, kam zu spät. Und die Eiche? Da war doch etwas? Sie hatte eine Bewegung wahrgenommen. Ein kurzer Ruck war durch sie durchgegangen und sie hatte ihren Standpunkt um ein winziges Stückchen verlassen.
Da war es wieder, es schlich aus ihrer Rinde hervor und rief in den strahlenden blauen Himmel hinein: Tu es einfach! Warum sollten Bäume nicht laufen können.
Sie hatte etwas tun wollen. Und hatte es getan! Die Eiche hatte sich aus sich heraus bewegt und was für uns kaum sichtbar ist, war für die Eiche ein unglaublicher Schritt. Sie war eingeschritten.
Es war Herbst. Die Eiche aber fühlte Frühling, ein buntes Keimen, ein sich Erneuern, ein sich Öffnen. In der späten Nachmittagssonne tanzten Schmetterlinge in ihrer fast schon laubfreien Krone.
Als von der Sonne nur noch der rötliche Hauch von ihrer Wärme am Horizont zu sehen war, erinnerte sich die Eiche an die Worte der Eule. Eine fröhliche Sehnsucht trieb plötzlich durch sie hindurch. Es schien fast so, als riefen alle ihre Zweige die Eule zu sich. Oder war es der ganze Wald, der sie rief?
Lichtpunkt für Lichtpunkt erhellte sich der Sternenhimmel und erwartete den aufgehenden Mond. Wie ein Sternenhirte suchte er sich seine Mitte, umgeben vom zahllosen Funkeln der Ferne.
„Hallo Eiche! Heute möchte ich dich besuchen. Bin ich willkommen?”
„Sehr willkommen, Eule! Ich habe dich sehnsüchtig erwartet.”
Ohne Unterbrechung begann die Eiche ihre Erlebnisse der letzten Wochen und vor allem des vergangenen Tages zu erzählen. Ihre Wiedergabe glich einem erneuten Durchleben, mit allen Regungen, Gefühlen, jedem Zweifeln und Hoffen, auch das Verdrängen und das fast Vergessen kam zu seinem Recht. Die Eule saß, wie immer, mit ruhigen Blick nach vorn vom gelegentlich langsamen Schließen der Augenlider unterbrochen und hörte sehr aufmerksam zu. Das heißt nicht, dass die Eule vorher unaufmerksam gewesen wäre, nein im Gegenteil. Aber ihre abendlichen Baumbesuche galten schon der Unterhaltung und die fand sie vor allem, wenn sie selber sprach.
„Eule, ich möchte mich bei dir bedanken, du hast mir mit deinem Zuspruch die Tür zum Laufen geöffnet.”
„Ach, ich weiß nicht… Aber wenn es dir geholfen hat,… warum eigentlich nicht… ich habe dir… gern Mut gemacht.” Die Eule war verlegen und stolz zugleich auf sich selbst und auf die Eiche. Sie blinzelte erhaben mit ihren Augen.
An diesem wundervollen Abend blieb die Eule länger als gewöhnlich. Unzählige Sterne glitzerten im tiefen Schwarz der Nacht. Die stille Zufriedenheit der beiden wurde von leisem Blätterregen untermalt. Es klang als sänge der ganze Wald ein leises Lied.”…

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(Ein Auszug aus einem noch unveröffentlichten Roman von S.F. Ahrens)
























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